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Vatertag

Es war Christi Himmelfahrt oder Vatertag, wie es in der Umgangssprache und für die nicht Katholischen oder auch für die katholischen Väter gilt. Und am Vatertag wurde immer gewandert, mit dem ausgerufenen Ziel eines Restaurants, oder eines Grillplatzes oder irgendeiner vergleichbaren Lokation. Diesmal war es ein Restaurant in einem etwas abgelegenen Teil unserer Stadt, den wir über einige geplante Umwege durch Wälder und über Felder erreichten. Typischerweise waren wir schon so um die vier bis fünf Stunden zu Fuß unterwegs, es wurde viel gesprochen, und für mich war es okay, obwohl ich das einzige Kind war. Wir waren nämlich zu fünft unterwegs, meine Eltern, ihre Freunde, zu denen ich Tante und Onkel sagte, wobei er hatte den Spitznamen Tuta hatte. Woher der Name kam wußte schon damals keiner mehr, doch alle nannten ihn so.

Wir kamen nun nach ca. 5 Stunden am Vatertag bei dem Restaurant in einem neuen Wohngebiet etwas außerhalb unseres Städtchens an und fanden noch einen freien Tisch. Tuta brachte mir alle möglichen Dinge bei, weshalb ich von ihm immer begeistert war. So konnte ich mit sieben Jahren schon auf Kommando rülpsen. Er hatte mir sehr ausführlich erklärt und dann auch mit mir geübt, wie ich Luft schlucken, also irgendwie in die Speiseröhre und somit den Magen pressen konnte. Nach vielen Übungen war ich dann auch in der Lage, schnell ein wenig Luft nach unten zu pressen und schwups, ja, zu rülpsen. Hatte ich mehr Zeit zum Luft schlucken, wie ich es mir sinnbildlich vorstellte, dann konnte der Rülpser schon einige Sekunden dauern. Zum Entsetzen meines Umfeldes, die so etwas alle nicht kannten. Mir machte es einen Riesenspaß, insbesondere passte ich Situationen ab, in denen anderen vornehmlich Erwachsenen irgendwelche Körpergeräusche entwichen, z.B. ein kurzes Aufstossen, weshalb sie sich ja üblicherweise entschuldigten, ich jedoch unmittelbar darauf einen Rülpser ließ und dann auch zum Wort Entschuldigung griff.

Mit der Zubereitung unseres Essens sollte es aufgrund der vielen Gäste, die wohl alle anläßlich des Vatertags und nach längerer Wanderung hungrig eingekehrt waren, noch etwas dauern, weshalb ich mich nach draussen begab um zu schauen, ob ich mit jemandem draussen spielen könnte. Es handelte sich in diesem noch neu zu entwickelnden Baugebiet um eine relativ unbelebte und unbefestigte Straße, die unmittelbar ans Restaurant grenzte. Auf der anderen Seite befand sich ein Erdhügel, der zum Spielen einlud, und an dem sich ein paar gleich- und ähnlich altrige Kinder versammelten um zu spielen. Es gibt jetzt ein paar Minuten, an die ich mich nicht erinnere, denn plötzlich war ich umringt von Menschen, meine Eltern, meine Großeltern und ganz viele andere und ich hörte meinen sonst so ruhigen und gelassenen Opa Anton vehement und mit Nachdruck schreien „ich bring sie um, wo ist sie, ich bring sie um“. Er meinte die Fahrerin des Autos, die mich am Straßenrand erwischt hatte und wohl ein paar Meter mitschleifte bevor sie mich im Rückspiegel sah. Meine Erinnerungen sind hauptsächlich die Rufe meines Großvaters nach Vergeltung, sowie ein Bild von meinem Arm, der am Ellenbogen um einhundertachtzig Grad geknickt erschien, eine Amoralität aufwies, die man sich selbst am eigenen Arm nicht gerne anschaut. Mein Körper schien jedoch so vollgepumpt mit Adrenalin, dass ich keine Schmerz verspürte. Wie man mir später sagte, sah ich im Gesicht nicht sehr attraktiv aus, da – wie ich später feststellen durfte – meine zweiten Schneidezähne raus waren und dementsprechend viel Blut floß, auch die Lippe war zerfetzt.

Krankenhaus

Im örtlichen Krankenhaus, hier kann ich mich an den Transport selbst, nun, der dauerte aufgrund der Nähe des Krankenhauses ja sowieso nicht lange, vielleicht 5 Minuten, nicht mehr erinnern, jedoch als ich im Krankenhaus untersucht wurde und der Chefarzt mich fragte, wie es mir ginge und ich antwortete dass Tarzan keine Schmerz kenne, was den drumherum stehenden Leuten, auch dem Personal ein Schmunzeln, oder leichtes Lachen auf die Lippen zauberte . Tarzan-Hefte von Edgar Rice Burrough sollten in den folgenden Wochen noch eine Bedeutung bekommen. Der Chefarzt sprach mit meinen Eltern und empfahl, dass ich in ein ca. fünfundzwanzig Kilometer entferntes Krankenhaus transportiert werden sollte, da man dort auf komplexe Frakturen, so wie ich sie am Arm hätte spezialisiert sei, und ich dort bestens aufgehoben wäre – viel besser als hier im örtlichen Krankenhaus. Da ich mich während der verschiedenen Untersuchungen an einiges erinnern kann, jedoch nicht an Schmerzen, ging ich später fest davon aus, dass ich mit Schmerzmitteln vollgepumpt war und es mir deshalb so gut ging. Es stand nun der Transport im Krankenwagen zu dem nächsten Krankenhaus bevor. Meine Mutter durfte mich im Krankenwagen begleiten, schön, dass man 1970 doch schon so weit war, denn als ich mit zwei Jahren, also 1965 an der Vorhaut operiert wurde, weiß ich aus Erzählungen, dass meine Eltern mich nur bringen und abholten durften, Besuche waren nicht gestattet, und dies in einem katholischen Kranknenhaus, oder vielleicht gerade weil es katholisch war.

Der Krankenwagen fuhr mit Blaulicht in das fünfundzwanzig Kilometer entferne Krankenhaus, und setze sich dabei über rote Ampeln und ggf vorhandene Geschwindigkeitsbegrenzungen hinweg. Mein Vater, der dem Krankenwagen mit seinem Ford 12M folgte mußte dem gleich tun, ansonsten hätte er keine Chance gehabt dem Krankenwagen zu folgen. Ich muß zwischendurch vor Erschöpfung eingeschlafen sein, da mein Erinnerungsvermögen während der Fahrt zum anderen Krankenhaus sehr geschwächt ist, auch an Untersuchungen in dem Spezialkrankenhaus kann ich mich nicht erinnern, erst wieder als ich aus der Narkose aufwachte, mußte ich doch am Arm und Bein operiert werden.

Da lag ich nun in einem großen Schlafsaal mit vielen anderen Kindern, mein Bein war gestreckt und hochgelegt, aus der Verse schauten zwei Nägel, die außen fixiert waren. Mein Arm war abgewinkelt und vollständig eingegipst, meine Lippen fühlten sich superdick geschwollen an. Ich bekam etwas Wasser aus einer Schnabeltasse. Langsam setzten ein paar Schmerzen ein, insbesondere im Mundraum. Ich hatte doch tatsächlich meine zweiten Schneidezähne unwiederbringlich verloren, was auf meine spätere Kindheit und Jugend doch noch einigen Einfluß nehmen sollte. Die Lippen waren sehr geschwollen, mußte doch durch den Unfall ein immenser Druck auf meine Lippen und Umgebung entstanden sein, wenn sogar meine Schneidezähne rausgebrochen waren.

Meine Eltern durften mich nur mittwochs und sonntags besuchen, ansonsten galt Besuchsverbot. Sie kamen immer zu viert, entweder zusammen mit Opa Alfred und Oma Else, oder mit Tante Monika und Onkel Fritz, oder mit Oma Marie und Opa Bernhard.

Klar brachten sie mir immer irgendetwas mit, z.B: Auto-Auto-Quartett oder ähnlich, doch das aller beste Geschenk und der Start in ein neues zu beginnendes Hobby sollte ein Comic Heft von Oma Marie sein, nämlich ein Tarzanheft von Edgar Rice Burroughs. Ich war ja erst kurz in der Schule, ein paar Monate, von September bis Mai halt, doch ich hatte ein grosses Wissensbedürfnis und wollte lesen, lesen, lesen. Die Comic-Hefte erfüllten den Zweck mich zu unterhalten, waren sie doch für mich ein neues Medium, und sie motivierten mich zu noch mehr Lesen. Es folgten weitere Comics, wie Batman, Superman, Wastl, natürlich auch Donald Duck, Daniel Düsentrieb und Dagobert, um nur einige meiner Lieblinge zu nennen und viele mehr.